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Karneval in Rio de Janeiro

Der Karneval von Rio erreicht seinen Höhepunkt in einem zweitägigen Umzug, der von 1953 an in der Avenida Presidente Vargas und seit den 80er Jahren im "Sambódromo", einem unter dem Gouverneur Leonel Brizole in Form einer Tribünenavenue errichteten Karnevalsstadion, stattfindet. "Strassenopfer" hat einer der Propagonisten den Karneval von Rio einmal genannt. Während eines Jahres bereiten sich in den "Escolas de Samba" Tausende auf dieses Ereignis vor: Musik, Tanz und Formation werden immer wieder einstudiert, Themen diskutiert, Texte geschrieben, Lieder komponiert, Allegorien hergestellt, Kostüme entworfen und geschneidert. An den Umzugstagen präsentiert jede der grossen "Escolas" zwischen drei- und sechstausend Menschen im Sambódromo. Der Umzug ist wie eine Fussballliga in eine erste, zweite und dritte Division geteilt, mit Auf- und Abstieg. Eine Jury aus Punktrichtern beurteilt nach einem akribisch festgelegten Kriterienkatalog Originalität, Rhythmus, Choreographie, Tänzer, Kostüme, den Allegoriewagen und das Sambathema. Jede "Escola" hat wie ein Fussballklub "Torcedores" (Anhänger). Prestige kann eine Sambaschule gewinnen, wenn sich Prominente zu ihr bekennen oder in ihren Reihen tanzen.

Die Masse einer Escola tanzt in den "Alas" (Flügeln) und untermalt mit ihren einheitlichen Kostümen das gemeinsame Thema. Herausgestellte Akteure sind die "Comissão de Frente", eine Art Präsidium, die Solotänzerin "Porta-Estandarte", die tanzend die Standarte trägt, und ihr "Mestre-Sala", sodann der Sambasänger mit seinem Themenlied und die Rhythmusgruppe, der von Perkussionsinstrumenten dominierten "Bateria de Samba". Das Zusammenspiel aller Teile ist neben der peniblen Einhaltung des Zeitlimits für den Erfolg massgebend. Der Sieger stammt meist aus den Reihen der grossen, traditionellen und finanzstarken "Escolas de Samba": Estação Primeira de Mangueira, Portela, Beija-Flor de Nilópolis, Império Serrano und Estácio de Sá. Zur ersten Division gehören weiterhin meist "Acadêmicos de Salgueiro, Mocidade Independente de Padre Miguel, Imperatriz Leopoldinense, Unidos de Vila Isabel und Império da Tijuca". Die Namen der Sambaschulen gehen in der Regel auf die Stadtteile, aus denen sie stammen, zurück. Es handelt sich dabei nicht um die Viertel der Reichen, sondern eher um die der Mittelschichten, der kleinen Leute und der umliegenden "Favelas" (Slums).

Man kann versuchen, die Vielzahl der Karnevalsthemen in verschiedene Gruppen oder Tendenzen einzuteilen. Jahrzehntelang dominierten Themen aus der brasilianischen Geschichte: Entdeckung, Sklaverei, Unabhängigkeit, Moritz von Nassau, Pedro II, Zumbi dos Palmares, Tiradentes, Getúlio Vargas und Tancredo Neves. Daneben finden sich Verherrlichungen des tropischen Brasiliens und meist personenbezogene Themen aus Literatur und Kunst: Castro Alves, Jorge Amado, Carols Drummond de Andrade, O Guarani, Casa Grande e Senzala, Macunaíma und Aleijadinho.

Seit den 80er Jahren muss man von einer Karnevalsindustrie sprechen, in der die Faszinierung der Escolas de Samba durch das Fernsehen und die Plattenindustrie, die Professionalisierung und Vermarktung des Karnevals durch die Tourismusbehörde "Riotour" und der ökonomische und politische Einfluss durch die "Bicheiros", die Organisatoren illegaler Wetten, eine immer grössere Rolle spielen. Im Zuge der Professionalisierung und Akademisierung des Karnevals drängen sich Theatermacher, Lieddichter und Bühnenbildner immer stärker in den Vordergrund. Kritiker bemängeln denn auch die Überladung des Umzugs und die Anpassung an die Erfordernisse der Fernsehübertragung. Nicht mehr die partizipative Perspektive der in den Escolas Aktiven dominiere, sondern die voyeuristische Kameraperspektive der Medien und passiven Zuschauer. Dennoch hat die Escola de Samba für die Bewohner der Favelas, der Elendsviertel auf den Hügeln, die über wenig Vereine und Infrastruktur verfügen, immer noch eine gemeinschaftsstiftende Funktion. Ohne die Tausende, die von den "Morros" (Hügeln) herabsteigen, wäre das prunkvolle Freudenfest nicht denkbar. Im Laufe der Jahrzehnte haben sie sich die Strasse, und heute das Sambódromo, erobert und den einst aristokratischen und bürgerlichen Karneval in ein Fest des Volkes und der Massen verwandelt, das immer weniger iberisch und immer stärker afro-brasilianisch geprägt ist.

Die spektakuläre Karnevalsparade der besten Sambaschulen findet am Sonntag- und Rosenmontagabend ab 19:30 Uhr im Sambódromo, Avenida Marquês de Sapucaí, statt und dauert bis zu 12 Stunden.

Für ausländische Besucher werden im Sambódromo die Tribünen 7 und 9 reserviert. Die Sitzplätze kosten über US$ 100 und sind damit deutlich teurer als die den Einheimischen vorbehaltenen Plätze, aber auch wesentlich angenehmer und komfortabler. Noch bessere Sicht und einen Barservice dazu bieten die Cadeiras de Pista, die um Tische gruppierte Einzelsessel. Am sichersten gelangt man mit der Metro-Linie 1 zum Sambódromo. Ursprüngliche Karnevalsumzüge mit einfachen Bandas finden in Leblon, Copacabana und Ipanema statt. Frevo-Orchester, Blocos de Enredo und kleinere Sambaschulen kann man in der Avenida Rio Branco im Zentrum sehen. Vorsicht vor Taschendieben!

Während des Karnevals ziehen die Preise für Hotelzimmer in Rio stark an. Reservierungen sind dann an einen Mindestaufenthalt von 5 Tagen gebunden und werden erst nach dem Entrichten einer Anzahlung von ca. 50% vorgenommen.

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