Das polnische Theater im 20. Jahrhundert
Einleitung
Die Entwicklung des polnischen Theaters verlief ähnlich wie in anderen Ländern Mitteleuropas. Die einzelnen Etappen trugen dieselben Bezeichnungen, auch eine Gemeinsamkeit vieler Formen lässt sich aufspüren. Die Riten des Mittelalters formten das Mysterientheater (dessen Anfänge bis ins 12. Jh. zurückreichen), um dann einen neuen Ausdruck in den schwungvollen plebejischen Unterhaltungsspielen zu finden, deren Ton im 16. Jhdt. die „Spielleute“ angaben. Die Renaissance führte das Theater am Königshof ein, der Barock verlieh diesen Schauspielen Ansehen und Glanz, und das 17. und 18. Jahrhundert bereicherten das Theater um einige Dutzent Privatbühnen, über die reiche Magnatengeschlechter die Schirmherrschaft übernommen hatten. Unter den breiten Adelsschichten waren die Konviktschauspiele sehr verbreitet. Das Berufstheater, das seine Stücke in der Muttersprache aufführte, datiert seit dem Jahre 1765 bzw. seit der Voltaireschen Aufklärungsreform in Europa. Trotz aller Verwandschaft der Entwicklungsphasen ist jedoch deutlich zu sehen, wie sich die universelle Form mit einem besonderen, urpolnischem Inhalt füllt.
Seit der Wende des Jahres 1989, die nicht nur für das politische Leben Polens folgenreich war, sind bereits fünfzehn Jahre vergangen. Die Veränderung des politischen Systems und die Wiedererlangung der demokratischen Freiheiten wirkten sich auch auf das Theaterleben aus. Das Theater, die lebendige Kunst, die nur hier und jetzt spielt, reflektierte immer die Wirklichkeit außerhalb des Theaters, die in Polen stets eng mit der Politik verbunden war. Eines der bedeutendsten polnischen Dramen, WESELE / DIE HOCHZEIT von Stanislaw Wyspianski (1901 entstanden), in dem die Polen ihr Porträt wie in einem Spiegel sehen und ihre eigene geistige und nationale Befindlichkeit untersuchen, beginnt mit dem Satz: "Was gibt's in der Politik?" Bis 1989 war das polnische Theater immer wieder ein Ort des Widerstandes, des Kampfes um die Bewahrung der nationalen Identität und der Freiheit des Geistes.
Als sich 1989 der große Freiheitstraum mit dem Sturz des Kommunismus endlich erfüllte, verlor das Theater, das bis dahin immer eine Führungsrolle innehatte, überraschend die Orientierung. Es büßte seine privilegierte Position ein, von der aus die Wahrheit direkt oder mittels eines komplizierten Systems von Symbolen und Anspielungen ausgesprochen wurde und von der die Ermutigung zum Kampf um Aufhebung der Zensur, um Gedanken- und Meinungsfreiheit, um Demokratie und volle Souveränität ausging. Jetzt lag die Wahrheit, zumindest scheinbar, auf der Straße und niemand erwartete mehr vom Theater die Erfüllung einer politischen Mission. Darüber hinaus mußten sich in der freien Wirtschaft, die mit der Demokratie gekommen war, Theater und Kultur den Gesetzen des Marktes unterordnen. Angesichts des allgemeinen Geldmangels, der Misere der staatlichen Förderung und mangels einer Tradition privaten Mäzenatentums war das keine einfache Aufgabe. Plötzlich wurde der Wandel der Rolle und der Stellung des Theaters sowie die Definition neuer Aufgaben und Ziele notwendig, um das Verschwinden des Publikums aus den Theatersälen zu verhindern.
Der Anfang der 90er Jahre war für das Theater eine schwere Zeit. Alles schien interessanter zu sein als das Theater, das Leben mit seiner Fülle an neuen Möglichkeiten riß alle mit. Die traditionelle Stärke des polnischen Theaters, in der stets aktuellen romantischen Dramaturgie des 19. Jahrhunderts wurzelnd, die unsere Wirklichkeit fast zwei Jahrhunderte umfassend kommentiert hatte, wurde brüchig. Es tauchte eine Theorie über den kulturellen Paradigmenwechsel auf. Wenn das romantische Paradigma am Ende war, welches hatte dann begonnen? Welche Epoche? Welcher Stil und welche theatralische Konvention? Das Theater hatte wenig Zeit. Es fing sofort an, sich gemäß den neuen Regeln aufzuspalten. Ein Teil der Theatergruppen (in Polen überwiegt das Programmtheater, das auf festen Theaterensembles basiert) unterlag dem Druck des Marktes, vielleicht auch der Verlockung des schnellen Ruhms und eines möglichen Gewinns, und verzichtete auf hohe künstlerische Ansprüche. Diese Theater bieten ihrem Publikum Unterhaltung, die manchmal sorgfältig vorbereitet, gelegentlich simpel und prätentiös ist. Nicht alle Gruppen jedoch haben das anspruchsvolle Theater aufgegeben. Einige blieben bereit, hohe Risiken einzugehen, ohne sich einen bequemen Platz in der neuen Welt zu suchen. Heute ist deutlich zu sehen, dass die Kompromisslosen gewonnen haben, obwohl sie für den künstlerischen Sieg eine sehr bescheidene finanzielle Lage in Kauf nehmen müssen. Wichtigste polnische Autoren und Bühnenbildner
Anfang des Jahrhunderts brachte Stanisław Wyspiański (geb. 15. Januar 1869 in Krakau; gest. 28. November 1907 in Krakau), der „Patron der polnischen Inszenierung“, ein ausgezeichneter Dichter, Maler, Dramatiker und Bühnenbildner neue Ideen in das Polnische Theater. Seine Impulse für neue Bühnenbildgestaltung, waren von Gordon Craig beeinflusst; er war der Vorläufer neuer Strömungen. Er entwarf Dekorationen und Kostüme, wobei sein Grundsatz war: „Die Theateraufführung ist ein spezifisches Ganzes- Text und Spiel des Darstellers und die Gestaltung des Bühnenraumes müssen einheitlich übereinstimmen mit dem Inhalt des Werkes. Es ging ihm um Effekte- Spiel der Farben, kleine Requsiten, das alles war wichtig. Wyspiański war Angehöriger der Bewegung "Junges Polen". Während eines Studienaufenthaltes in Paris wurde er durch die Richtung der Art Nouveau beeinflusst, aber auch durch die Begegnung mit Künstlern aus dem Kreis um Paul Gauguin. Ebenso wurde er wahrscheinlich über Stanislaw Przybyszewski mit der Malerei des Norwegers Edvard Munch bekannt gemacht.
Wyspiański war nicht nur als Maler, Zeichner und Bühnenbildner tätig, er entwarf auch Ornamente und Glasfenster. Zu letzteren zählen beispielsweise die Fenster der Franziskanerkirche in Krakau. Darüber hinaus verfasste er mehrere Theaterstücke, in denen er Themen aus Mythologie und Sagen, aber auch aus der polnischen Geschichte verarbeitete. Sein wohl bekanntestes Stück ist "Wesele" (Hochzeit) von 1901. Dieses basierte auf der im Jahr zuvor tatsächlich stattgefundenen Hochzeit seines Freundes Lucjan Rydel mit einer Bauerntochter aus einem Dorf bei Krakau und brachte bei seiner Uraufführung einen Skandal mit sich. 1973 wurde "Wesele" von Andrzej Wajda verfilmt.
Die Werke Wyspianskis sind heute in vielen polnischen Museen zu finden, unter anderem im Wyspiansky-Museum in Krakau. Andrzej Wajda (geb. 6. März 1926 in Suwalki, Polen). Er gehört zu den Unsterblichen, so nennt man die Mitglieder der Französischen Akademie der schönen Künste. Für sein Gesamtwerk wurde er zweimal geehrt: Er bekam auf dem Filmfestival in Venedig 1998 den Goldenen Löwen sowie im Jahr 2000 den Oscar. Wajda übt eine ganze Reihe gesellschaftlicher und politischer Funktionen aus. 1978-83 war er Vorsitzender des Verbandes der polnischen Filmmacher und 1989-91 Senator im polnischen Senat. Er ist der Hauptvertreter der so genannten Polnischen Filmschule. Seine bedeutendsten Werke: „Generation” (1955), „Kanal” (1957, Silberne Palme in Cannes), „Asche und Diamant“ (1958), „Die Hochzeit“ (1973), „Das gelobte Land“ (1974, Oscarnominierung, Auszeichnungen in Moskau und Gdansk), „Der Mann aus Marmor” (1976) und „Der Mann aus Eisen” (1981, Goldene Palme in Cannes), „Danton“ (1985, Prix Delluc) und „Pan Tadeusz“ (1999). Er hat auch Theaterstücke inszeniert: u. a. von Mrozek, Dostojewski, Witkacy und Shakespeare. Ihm wurde die Medaille der französischen Ehrenlegion und der japanische Orden der aufgehenden Sonne verliehen. 1996 hat er in Berlin den Silbernen Bären empfangen. 2001 verlieh ihm der deutsche Bundespräsident das Große Verdienstkreuz.
Die Eröffnung des „Polnischen Theater“ (Teatr Polski) 1913 in Warschau brachte eine neue Phase in der Bühnenbildgestaltung mit. In diesem Jahr wurden in dem „Polnischem Theater“ zwei Bühnenbildner fest engagiert: Karol Frycz (1877- 1953) und Wincenty Drabik (1881- 1933). Sie hatten neue bühnenbildnerische Ideen- neuen Stil, Architektur, Malerei. Drabik war ein begabter Maler und Techniker, er prägte die Ursprünglichkeit der Volkskunst und expressionistische Deformation. Frycz war Regisseur und Theaterleiter, er war ein objektiver Bühnenbildner, hatte künstlerisch- technische Fähigkeiten. Er hatte Kenntnisse über die europäische und außereuropäische Kultur und hat sich von den Gemalten Dekorationen entfernt. Dafür entwarf er architektonische Konstruktionen, er prägte das Zusammenspiel von Fläche, Requsiten, Kostümen und Licht. Andrej Pronaszko (1888- 1961) hat Kubismus auf der Bühne durchgestezt. In der 20er Jahren hat er mit Leon Schiller in „Bogusławski Theater“ zusammengearbeitet. Leon Schiller (1887- 1954) war Theaterdirektor, Schriftsteller, Komponist und Theaterforscher.
Pronaszko entwarf Dekorationen und Kostüme, bei ihm überwiegen die Elemente der Malerei noch, es sind aber auch „abstrakte“ geometrische Formen vorhanden. Später befreite er sich von solchen „piktographischen Konzeptionen“. Schiller selbst hat ihn der „Baumeister der Bühne“ benannt. Die Zeit der Zusammenarbeit von Schiller und Pronaszko wird „Polnisches Monumentaltheater“ genannt. Iwo Gall (1890- 1959) war Regisseur und Lehrer. Er hat Pronaszko „Baumeister des Bühnenhintergrundes“ benannt. Er hat gemeint, dass der Hintergrund des Bühnenbildes eine szenische Dauerkonstruktion ist, die nur durch ganz wichtige Elemente ergänzt wird, besonders aber durch farbliches Zusammenspiel von Kostümen und der Beleuchtung. Wladysłav Daszewski war ein Miterbeiter von Schiller. Zu seinem „komponiertem Realismus“ sagte er, es sei eine „Ausdrucksform für reportagehafte, politisch engagierte Zeitstücke.“ Er war ein Graphiker und Karikaturist, hat den architektonischen Konstruktivismus mit dem graphischen verbindet. Der Malerei war er näher als Pronaszko und Gall, er war ganz entfernt von frühem Illusionismus.Seine Dekorationen hatten eine ausgewogene Komposition, klare lineare Präzision und höchst kunstvoll aufeinander abgestimmte farbliche Effekte. Otto Axer, auch ein Mitarbeiter Schillers, verwendet auch „komponierten Realismus“, er war Bildhauer. Er hatte große Vorliebe für Formenreichtum; seine Projekte haben sich durch die Betonung der Komposition bzw. der Fakten vom Illusionismus unterschieden. Er hatte auch rein konstruktivische, nahezu abstrakte Entwürfe. Teresa Roszkowska folgt dem modernem Kubismus, sie hat auch malerische Phantasie und reiche Farbgebung. Sie erlangte Anerkennung durch die Dekorationen zu den Inszenierungen Edmund Wiercińskis. Später machte sie bühnenbildnerische Arbeiten für die Oper.
In der Zwischenkriegszeit waren die Anhänger der früheren, auf illusionistischer Malerei beruhenden Richtung tätig. Die Bekanntesten waren: Stanisław Jarocki dessen Fähigkeiten in der Bühnenmalerei am wirkungsvollsten auf großen Opernbühnen zum Ausdruck kamen. Er war der Vertreter der neuen Generation, ein Schüler von Frycz, Pronaszko und Daszewski. Er erlangte Anerkennung vor und nach dem zweiten Weltkrieg. Jan Kosiński betont die Funktionalität der Dekoration. Die Organisation des Bühnenraumes interssiert ihn mehr als der aufbau des gesamten plastischen „Bildes“ einer Aufführung. Weniger Aufmerksamkeit widmet er den Kostümen, er beschränkt sich oft nur auf den Entwurf der Dekorationen. Bühne ist für ihn keinesfalls ein „Kasten“, sondern ein Kreisförmiger Raum, in dem er seine, der Wirklichkeit des literarischen Werkes entsprechende Bühnenvision architektonisch realisiert. Seine Phantasie ordnet er den Erfordernissen eines eigenartigen Neoklassizismus unter. Sogar in romantischen Werken und Opern herrscht Ordnung und Maß seiner Dekos. Seine bemerkenswerteste Ergebnisse erzielte er mit der modernen Bearbeitungen antiker Themen.
In den Nachkriegsjahren waren besonders tätig: Aleksander Jędrzejewski (verbunden mit dem Breslauer Theater), Wiesław Lange (in Breslau u. Kattowitz wirkwnd), Romuald Nowicki und Zenobiusz Stzrelecki. Deren Grundsatz war: Bühnenbild muss funktional sein, es hat vor allem einen realen Raum darzustellen, in dem das Schauspiel stattfinden kann; nicht mit der Hilfe illusionistischer Mittel, sondern auf dem Wege einer verkürzten Transposition. In der Übergangszeit der 40er und 50er Jahre haben sie neben Frycz, Pronaszko und Daszewski eine schöpferische Rolle gespielt. Sie haben dazu beigetragen, dass der schematisch verstandene sozialistische Realismus, der damals auf den polnischen Bühnen vorherrschte einen neuzeitlichen Ausdruck fand und nicht einfach das Theater des 19. Jhdt. Kopierte. Andrzej Stopka war Karikaturist. Er hat in den Aufführungen seine Vorliebe für Groteske freien Lauf gelassen, oder hat er Phantasie mit seiner reichen Kenntnis der Volkskunst und der Volklore verbunden, wobei er den bühnenbildnerischen Stil Wyspiańskis u. Drabiks auf besonders originelle weise fortsetzte.
Durchbruch währen der 50er Jahre machte sich auf der Bühne durch die Gestaltung des Bühnenbildes bemerkbar. Neorealisten haben statt des illusionistischen Gesamtbildes nur einzelne charakterisierende Elemente vorgeführt. Sie setzten die Überlegungen der „Reform“- Theoretiker voraus- dass die Bühnendekoration dem Zuschauer nicht die Illusion der Wirklichkeit, sondern den Eindruck eines künstlerischen Theaterprodukts zu vermitteln hat, das seine Entsprechungen in der Wirklichkeit hat. In der Szenographie der Vorkriegszeit empfand man eine Abneigung gegen eine allzu genaue Einführung des Zuschauers in die realen Gegebenheiten der Handlung. In Krakau entwickelte sich eine Schule von Bühnenbildnern, die „Repräsentanten“ waren: Tadeusz Kantor, Józef Szajna, Andrzej Cybulski. Tadeusz Kantor (1915-90) - Maler, Grafiker, Regisseur, Drehbuchautor, Professor an der Akademie der Schönen Künste in Krakau, 1942-44 Regisseur für ein experimentelles Untergrundtheater in Krakau. Nach dem Krieg gründete er das Avantgardetheater Cricot 2. Dort wurden u. a. Witkacy-Stücke aufgeführt wie „Der Tintenfisch”, „In einem kleinen Hof”, „Narr und Nonne” und „Wasserhuhn”. Seine wichtigsten Aufführungen waren: „Die tote Klasse“ (1975), „Wielopole, wielopole“ (1980), „Niech sczezna („sczzna“ bedeutet „umrzec“ also z.B. Artisten sollen sterben artysci“ (1985) und „Ich komme nie wieder hierher zurück“ (1985). Seine wichtigsten Bilder sind „Mann mit Schirm” (1949), der Zyklus „Industrietaschen” (1964), „Emballage” (1964-75), der Zyklus „Weiter ist nichts” (1986-90) und „September-Niederlage” (1990).
Zdroje:
Csató, Edward: Polnisches Theater unserer Zeit, Rheinfelden: Schäuble Verlag, 1974 - Filler, Witold: Zeitgenössisches polnisches Theater, Warszawa: Interpress, 1977 -
Linky:
Salzburgfestival - www.salzburgfestival.at Filmovy archiv Nemecko - www.dasfilmarchiv.de Filmovy archiv Rakusko - www.filmarchiv.at
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