Sind Vitamintabletten als Nahrungsergänzung sinnvoll ?
1. Der Erfolg der Vitamintabletten
Der Konsum von Nahrungsergänzungsmitteln boomt. Laut einer Forsa-Umfrage nimmt jeder dritte Deutsche regelmäßig Vitamine oder Mineralstoffe in Tabletten-, Pulver- oder Kapselform zu sich und gibt dafür durchschnittlich 600 DM im Jahr aus. Ist das eine sinnvolle Investition in die Gesundheit?
Vitamine sind lebensnotwendige organische Verbindungen, die in Kleinst- mengen für den Stoffwechsel benötigt werden. Sie dienen als Katalysatoren, sozusagen als „Schmierstoffe“ für den Stoffwechsel, und haben so bedeutenden Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden.
Die Erwartungen und Ansprüche an Vitamine sind hoch. Sie stehen für Gesundheit, Energie, Aktivität und Spannkraft, sie sollen für gute Laune und Konzentrationsfähigkeit sorgen und manche Leute glauben sogar, sie würden Krankheiten wie Krebs, Herzinfarkt und Rheuma bekämpfen können. Dieses Meinungsbild von Vitaminen, welches bei den meisten Bürgern vorhanden ist, entsteht durch Werbung in den Medien, und einfachen logischen Herleitungen wie:
»Obst und Gemüse sind gesund, weil sie Vitamine enthalten. Also sind Vitamine gesund und man sollte dafür sorgen, dass man sich reichlich mit ihnen versorgt«.
Falsch sind diese Aussagen nicht, denn Vitamine sind gegen Allerweltsbeschwerden wie Müdigkeit, Schlappheit, Kopfweh, Schnupfen… nützlich. Neue Studien zeigen auch, dass die Mikrostoffe für Herz, Hirn und den Schutz vor Krebs wichtig sind.
Gerade bei den Allerweltsbeschwerden ist Vitaminmangel eine bequeme Erklärungsmöglichkeit, sodass man schnell zur Vitamintablette greift.
2. Braucht der Körper zusätzliche Vitamine?
Ein Hauptargument der Befürworter von Vitamintabletten ist, wir würden im Fastfood-Zeitalter nicht mehr genügend Vitamine zu uns nehmen. Gemüse und Obst werden importiert, oft wochenlang zwischengelagert und konserviert. Dabei würden kaum Vitamine mehr übrig bleiben.
Die Gegner von Vitamintabletten dagegen meinen, noch nie sei unser Essen so reich an Nährstoffen gewesen wie heutzutage denn man kann unabhängig von der Saison alle Arten von Gemüse und Obst kaufen. Deshalb hat der Verbraucher also das ganze Jahr über die Chance, Nährstoffe aus der Nahrung aufzunehmen.
Wie viele Vitamine man wirklich zu sich nimmt, hängt von der Ernährung des Einzelnen ab. Wissenschaftler und Verbraucherschutz sind sich einig, wer sich ausgewogen und gesund ernährt, der muss sich keine Sorgen wegen Vitaminmangel machen. Schwangere, stillende Menschen und Jugendliche im Wachstum befinden sich in Lebensphasen, in denen sie viele Vitamine brauchen, sodass auch Vitaminmangel bei ausgewogener Ernährung auftreten kann. Auch das Rauchen, das Einnehmen der Pille und Alkoholkonsum erhöhen den Vitaminbedarf.
3. Die Zusammensetzung der Tabletten
Bevor man jedoch eine Tablette ohne ärztliche Empfehlung zu sich nimmt, sollte man sich im Klaren sein, was die Tablette für Wirkungsstoffe und in welchen Mengen beinhaltet. Als Beispiel dient eine nur in Apotheken erhältliche Tablette „ADDITIVA Multivitamin + Mineral“.
4. Gilt hier das Sprichwort „Viel hilft viel“? Gibt es Nebenwirkungen?
Die Antwort ist umstritten, denn zum einen ist eine Megadosis (Sehr hohe Überdosis) bei wasserlöslichen Vitaminen (B1, B12, Folsäure und Vitamin C) nicht toxisch (=schädlich), da sie auf dem schnellsten Weg über den Urin ausgeschieden werden kann, ohne dass sie der Stoffwechsel vorher verwertet. Megadosen über lange Zeit bei fettlöslichen Vitaminen (A, D, E, K) dagegen können die Gesundheit gefährden, da sie nicht direkt vom Körper ausgeschieden, sondern gespeichert werden. Deshalb sind die in Überdosis besonders gefährdenden Vitamine A, D und E in den meisten (auch bei der obigen) Vitamintabletten nicht vorhanden.
Eine Überdosis Vitamin E hemmt die Blutgerinnung oder kann die Aufnahme anderer Vitamine (Vitamin D, Vitamin K) herabsetzen, ab 200 mg am Tag können Sehstörungen, Müdigkeit, Kopfschmerz oder Muskelschwäche auftreten.
Eine Überdosis Vitamin A kann zu Leberschäden, Hemmung des Knochenwachstums und bei Schwangeren zu Missbildungen des Foeten führen. So verringert sich laut einer statistische Erhebung der Universität Uppsala die Knochendichte bei Frauen, wenn sie wesentlich mehr zu sich nehmen als die empfohlenen 0,8 Milligramm pro Tag. Mit jedem zusätzlichen Milligramm pro Tag erhöht sich das Risiko einer Hüftfraktur um 68 Prozent, so die schwedischen Forscher.
Bei einer Überdosis Panthotensäure kann die Einnahme hoher Dosen (10-20mg/Tag) kann Durchfall bewirken. Beachtlich dabei ist, dass eine Tablette „Multivitamin + Mineral“ bereits 12 mg enthält.
Bei Megadosen Vitamin C können sich eventuell Oxalat-Steine in der Niere bilden.
Auch bei andern Vitaminen werden vermehrt Nebenwirkungen bei Überdosen vermutet, welche aber noch nicht wissenschaftlich eindeutig bewiesen wurden.
Zwar ist die Gefahr von Nebenwirkungen relativ gering, bei einer dauerhaften Einnahme von Vitamintabletten gewöhnt sich jedoch der Körper an die neue Vitaminquelle und gewinnt nicht mehr so viele Vitamine aus der Nahrung, sodass bei einer Absetzung der Tabletten oft Vitaminmangel herrscht.
5. Was für gesetzliche Regelungen gibt es?
Da stellt sich natürlich die Frage wie hoch Vitamintabletten dosiert sein dürfen und welche Kontrollen es gibt. Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin gab dazu 1998 eine Begriffsbestimmung für Nahrungsergänzungsmittel vor:
»Nahrungsergänzungsmittel sind Lebensmittel, die einen oder mehrere Nährstoffe in konzentrierter Form enthalten und eine lebensmitteluntypische Form (Tabletten, Kapseln etc.) aufweisen«
Vitaminpräparate, welche die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfohlene Tagesdosis um mehr als das Dreifache überschreiten, werden als Arzneimittel angesehen. Vitamin A und Vitamin D sind von dieser Regelung ausgenommen, da sie bereits in geringeren Mengen schädlich wirken können. Bei Mineralstoffen gilt als Obergrenze die von der DGE empfohlenen Tagesdosis.
Diese ungenaue Definition nützen Hersteller und Vertreiber von Nahrungsergänzungsmittel aus. Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg untersuchte Vitamin- und Mineralstoffpräparate aus Supermärkten, Drogerien und Direktvertrieben. Das überraschende Ergebnis: Drei Viertel von 170 untersuchten Präparaten waren überdosiert, deshalb müssten sie eigentlich als Arzneimittel verkauft werden. Manche Hersteller versprechen sogar Heilwirkung (z.B. bei Krebs), was auch nur bei Medikamenten erlaubt ist.
Vitamin und Mineralstoffpräparate werden meist nicht als Arzneimittel verkauft, denn dazu braucht man eine oft teure und zeitaufwendige Wirksamkeitsstudie damit die Präparate zugelassen werden.
Eine Lösung des Problems ist in Sicht, da eine neue EU-weite Richtlinie momentan in Vorbereitung ist.
6. Sind synthetisch hergestellte Vitamine dieselbe wie natürliche?
Die Vitamine in den Vitamintabletten werden meist in großtechnischem Maßstab künstlich hergestellt wobei sich die Frage stellt ob synthetisch hergestellte Vitamine dieselben sind wie Natürliche, oder ob Natürliche besser wirken.
Auf den Verpackungen der Tabletten findet man oft die Begriffe „Naturidentisch“, „Aus natürlichen Rohstoffen gewonnen“ oder „Mit natürlichem Vitamin“. Der Unterschied dabei ist die Gewinnung der Vitamine:
„Naturidentisch“ bedeutet, dass die Vitamine chemisch gewonnen wurden und sie dieselbe Struktur wie natürliche Vitamine aufweisen.
„Aus natürlichen Rohstoffen gewonnen“ bedeutet, dass die Vitamine mit chemischen Hilfsmitteln aus Lebensmittel, wie z.B. Weizen gewonnen und in die Tablette gepackt wurden.
„Mit natürlichem Vitamin“ bedeutet, dass geringe Mengen Vitamine aus Gemüse oder anderen natürlichen Lebensmitteln zugesetzt werden.
Der Grund für diese Trennung ist ganz einfach die Werbewirksamkeit des Wörtchens „natürlich“. Für welche Herstellungsmethode man sich entscheidet ist egal, denn durch die heutige Technik sind künstlich hergestellte Vitamine nicht mehr von Natürlichen zu unterscheiden, sodass beide genau gleich wirken. Trotzdem gibt es bei den Vitamintabletten einen Haken:
7. Sekundäre Pflanzenstoffe - keine Pille kann sie ersetzen
Bei der Nutzung von Vitaminen im Körper spielen noch viele andere bioaktive Substanzen eine wichtige Rolle, die in Vitamintabletten nicht enthalten sind. So können die Vitamine, z.B. ohne „sekundäre Pflanzenstoffe“ nicht effizient genutzt werden. Diese Stoffe werden von Pflanzen im sekundären Stoffwechsel (der nicht direkt dem Wachstum dient) produziert. Die Substanzen wurden lange nicht beachtet, oder sogar als schädlich gehalten. Sie dienen den Pflanzen als Farb-¬ und Aromastoffe in den Früchten, regen Tiere zum Fressen an, dienen aber auch als Abwehrstoffe gegen Fressfeinde, oder als Schutz vor der starken UV¬-Strahlung. Sie kommen in Pflanzen nur in geringer Konzentration vor, sodass man bei normaler Ernährung ca. 1,5 g zu sich nimmt.
Ein Beispiel: Carotinoide, sind pflanzliche Farbstoffe die zum Teil zum Färben von Lebensmitteln verwendet werden. Inzwischen belegen wissenschaftliche Studien, dass Carotinoide die Zellen nachweislich vor Giftstoffen schützen. Zum einen wehren sie krebsauslösende Stoffe ab, sie kurbeln aber auch die Selbstheilungskräfte an und aktivieren körpereigene Reparatursysteme.
Aber auch Lycopin, der rote Farbstoff der Tomate oder Gemüsesäfte sind wirksam. Nimmt man sie regelmäßig zu sich, so reagiert das Immunssystem viel schneller auf eine Infektion.
Wer hofft, solche Stoffe auch in Pillenform zu sich nehmen zu können, muss (zumindest zunächst) enttäuscht werden, denn mittlerweile ist klar, dass Obst und Gemüse nur in seiner ursprünglichen Form einen positiven Effekt für die Gesundheit hat. Immer mehr Studien belegen, dass isolierte Substanzen nicht die gleiche Wirkung haben oder sogar das Krebsrisiko erhöhen können.
Aber auch andere, nicht-pflanzliche Stoffe, spielen im Zusammenspiel mit Vitaminen eine wichtige Rolle. Hierzu ein Beispiel:
Das Nationale Institut für öffentliche Gesundheit der Niederlande untersuchte die Wirksamkeit von Omega-3-Fettsäuren, von denen die Pharmaindustrie behauptete, sie wären für die positive Wirkung von Fisch auf das menschliche Gehirn verantwortlich. Die Studie zeigte jedoch, dass richtige Fische den Tabletten weit überlegen waren. „Wir wissen bis heute nicht, warum Fisch einen so schützenden Effekt hat“, meinte der leitende Wissenschaftler. „Wir kennen die wirksamen Substanzen einfach noch nicht. Aber die Omega-3-Fettsäuren alleine sind es nicht.“
8. Mein Fazit:
Vitamintabletten sind für den gesunden Menschen, der sich abwechslungsreich und vollwertig ernährt nicht nur überflüssig, sondern man schadet sich mehr, als man davon Nutzen hat. Eine ausgewogene Ernährung ist gesünder und günstiger, denn Vitamintabletten können den Nutzeffekt von Obst und Gemüse eben einfach nicht imitieren, da sie nur einen sehr kleinen Anteil der 5 000 bis 10 000 verschiedenen Substanzen in unserer Nahrung enthalten.
Ein gutes Beispiel dafür finde ich den Kuchen. Die einzelnen Zutaten isoliert, schmecken nicht gerade gut. Nur das Zusammenspiel aller Zutaten in der richtigen Menge bewirkt den guten Geschmack des Kuchens. Überdosen von Vitaminen kann man so vergleichen: Nimmt man von einer Zutat beim Kuchenbacken zuviel, dann schadet es (je nach Zutat) dem Geschmack des Kuchens mehr oder weniger.
In manchen Lebensphasen (z.B. während einer Krankheit, Schwangerschaft, bei starkem Wachstum…) in denen der Körper besonders viele Vitamine benötigt, kann die Einnahme von Vitamintabletten mit der richtigen Dosierung dennoch sinnvoll sein. Am sinnvollsten sind dabei Monopräparate, da man mit ihnen gezielt bestimmte Defizite ausgleichen kann. Die Auswahl und die Dosierung sollte man am Besten mit seinem Arzt absprechen. Die Einnahme der Tabletten sollte dann auf jeden Fall nicht die Regel werden.
Wer trotzdem nicht auf seine Vitamintabletten verzichten will, sollte bei aller Werbung versuchen, den kritischen Durchblick zu behalten. Bereits beim Kauf sollte man auf die Zusammensetzung achten und hohe Dosierungen vermeiden. Auf Billigprodukte oder Produkte per Direktversand sollte man ganz verzichten, da bei ihnen Zutaten oder Bestandteile oft nicht den allgemeinen Lebensmittelbestimmungen entsprechen.
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